Lädt...

Dr. Tayfun Belgin im Interview

Gespräch mit dem Direktor des Osthaus Museum Hagen

veröffentlicht am 6. Januar 2023

    Dr. Tayfun Belgin, Künstlerischer Leiter des Fachbereichs Kultur und Direktor des Osthaus Museum Hagen, wird zum Ende des Jahres in Pension gehen. Im Interview erzählt er u. a., worauf er in seiner Ausstellungspraxis Wert legt, und verrät auch ein Programm-Highlight in 2023.

    Gibt es ein Erfolgsrezept für eine gute Ausstellung, bzw. welche Kriterien sind für Sie ausschlaggebend bei der Auswahl von Exponaten?

    Das ausschlaggebende Kriterium ist in erster Linie Qualität. Der ausstellende Künstler muss über eine gewisse Ausbildung verfügen und eine seriöse Ausstellungspolitik, also einen seriösen Umgang mit Werken, verfolgen. Entscheidend kann nicht allein der Name sein. Nehmen wir als Beispiel Sylvester Stallone, dessen Werke wir im letzten Jahr ausgestellt haben. Was kaum einer weiß: Stallone hat bereits vor seiner Schauspielerei angefangen zu malen, darunter sehr interessante Dinge, und sich kontinuierlich weiterentwickelt, und zwar in einer Art und Weise, dass ich die Werke auch unabhängig von seinem berühmten Namen ausgestellt hätte. Die Qualität war der Beweggrund für die Ausstellung, nicht seine Prominenz. Ich war schon immer angetan von der Qualität seiner Werke.
    Was mir wichtig ist, ist ein Spektrum zeitgenössischer Kunst mit großer internationaler Bandbreite darzubieten. So haben wir zurzeit einen Russen, einen Amerikaner, einen Chinesen und einen ukrainischen Künstler ausgestellt.

    Ihnen ist es wichtig, die Tradition von Karl Ernst Osthaus fortzuführen. Was bedeutet dies für Ihre Ausstellungspraxis?

    Ich verstehe das Osthaus-Erbe so, immer auch Aktuelles und Zeitgenössisches neben klassischen Werken zu zeigen, so wie es Osthaus selbst realisiert hat. Das war insofern wichtig für ihn, weil er die Kraft in neuer Kunst gesehen hat. Dieser Weg ist für mich letztendlich auch der richtige Weg, um Menschen und vor allem auch jüngere Leute ans Museum zu binden. Es ist ganz wichtig zu zeigen, was auch die zukünftige Generation interessiert, und nicht nur das Altbekannte. Neue, zeitgenössische Projekte sind Voraussetzung, um ein neues Publikum anzuziehen. So war es auch ein Anliegen von Osthaus beispielsweise, für die hier eher ästhetisch vernachlässigte Industriegegend eine ästhetische Perspektive zu schaffen. Das ist ein großer Anspruch, dem wir mit unseren Mittel gerecht zu werden versuchen.

    Was sehen Sie als die Aufgabe von Kunst? Was kann, aus Ihrer Sicht, Kunst in der Gesellschaft bewirken?

    Bestenfalls, dass man sich gegenüber Phänomenen öffnet, denen man bisher noch nicht begegnet ist. Wichtig ist, dass man Sensibilitäten schafft, Neugier für Unalltägliches. Ganz gleich, welche Mittel Sie anwenden, man muss die Menschen sozusagen ein bisschen auch zu ihrem Glück zwingen, ohne Zwang auszuüben. Einfach, indem man Dinge macht, mit denen man den Menschen die Augen und Ohren für Neues öffnet. Anderenfalls gibt es keinen Erkenntnisgewinn.

    Ist es nicht teilweise eine Gratwanderung, wissenschaftlichen Anspruch und Publikumsgunst zu vereinbaren?

    Ja, das ist eine Frage, die gerade in unserem Land gerne gestellt wird. Nehmen wir noch einmal als Beispiel die Stallone-Ausstellung. Selbstverständlich wusste ich, dass sie große Aufmerksamkeit erzeugen wird. Es hat in der Geschichte der Stadt Hagen, möchte ich behaupten, noch nie 85 Medienvertreter bei einer Ausstellung gegeben, sämtliche Sender, auch international, haben an einem Abend darüber berichtet. Das hat es hier noch nie gegeben. Natürlich war das meinerseits auch ein intellektuelles Spiel mit diesem Gedanken, das möchte ich nicht verhehlen. Gleichzeitig ich bin glücklich, dass gerade diejenigen, die immer auch kritisch über uns berichten, dann auch zur Stallone-Ausstellung gekommen sind.
    Ganz abgesehen von Stallone ist es natürlich immer eine Gratwanderung, beide Komponenten, die künstlerische und wirtschaftliche, zu vereinbaren. Auch Kunst ist Wirtschaft. Natürlich muss man immer noch die Kontrolle haben.

    Was war in Ihrer Tätigkeit die größte Herausforderung, mit der Sie konfrontiert waren?

    Das war ganz klar der finanzielle Aspekt. Ich muss für nahezu jede Ausstellung Geld besorgen. Dazu habe ich einen Verein gegründet „Freunde des Osthaus Museums e.V.“, um über Einzelmitglieder und Firmenmitgliedschaften Gelder zu akquirieren. Für die Tony-Cragg-Ausstellung 2023 habe ich über eine Düsseldorfer Bank eine Förderung erhalten. Das ist durch einen Kontakt im Freundeskreis zustande gekommen. Ich bin immer derjenige, der die Hand aufhält (lacht) und versucht, mit verschiedenen Sammlern und Galeristen etc. einen Sponsorenpool zu realisieren. Das Finanzielle war die größte Herausforderung vom ersten Tag an.

    Dieter Nuhr, Sylvester Stallone und Bryan Adams – sie alle haben ihre Werke im Osthaus Museum ausgestellt, was auch überregional großen Anklang gefunden hat. Wie ist diese Verbindung zu den Prominenten zustande gekommen?

    Entscheidend sind hier mein Netzwerk und Kontakte, die oft auch zufällig sind. So etwa zu Kunstvermittlern wie im Fall von Bryan Adams, dessen Fotografien ich schon von Messen kannte. Dieter Nuhr habe ich bei einem Essen eines befreundeten Künstlers in Düsseldorf einfach gefragt. Was viele nicht wissen: Er hat an der ehemaligen Folkwangschule in Essen Bildende Kunst studiert. Wir haben uns lange über seine Entwicklung von der Ölmalerei hin zur digitalen Malerei unterhalten. Das ist es, was mich interessiert: Künstler, die eine Entwicklung durchmachen, die Substanz haben. Als Förderer stand ihm die Brost-Stiftung in Essen zur Seite, um den Katalog zu finanzieren, da die Ausstellung noch nach Venedig und zu anderen Orte gehen wird. Sie sehen, es sind manchmal so glückliche Zufälle, natürlich muss man schon in der Welt der Kunst unterwegs sein, damit diese Zufälle auf einen zukommen.

    Haben diese Ausstellungen mitunter auch Besucher ins Museum gelockt, die nicht sehr kunstaffin sind? Und konnte – dadurch ausgelöst – auch weiterhin eine Magnetwirkung erzielt werden?

    Ja, es kamen auch Menschen, die noch nie in einem Museum waren, darunter sogar Besucher aus München. Viele haben sich gewundert, warum diese Ausstellungen in Hagen stattfanden und nicht etwa in Köln oder Frankfurt. Diese bundesweite Resonanz war für unser Institut natürlich klasse, eine sehr wichtige Marketingkampagne.
    Dennoch haben auch wir unter den derzeit rückläufigen Besucherzahlen in Museen zu leiden. Das ist bedingt durch die Corona-Pandemie sowie die unsichere Situation infolge des Ukraine-Krieges. Die geringere Auslastung betrifft zurzeit leider sämtliche kulturelle Einrichtungen.
    Letztendlich ist es aber so, dass ein Name, der einmal lanciert wurde und immer wieder in den Medien auftaucht, im Bewusstsein der Menschen hängen bleibt. Daher hoffe ich, in besseren Zeiten wieder an die ganz großen Besucherzahlen anknüpfen zu können.

    Ihr Vertrag läuft Ende 2023 aus. Haben Sie für das Jahr noch besondere Pläne?

    Einen Höhepunkt im Jahr 2023 habe ich schon angesprochen, die Ausstellung mit Skulpturen von Tony Cragg, einer der zehn bedeutendsten Bildhauer der Welt. Ihn wollte ich schon immer ausstellen. Durch die großzügige Zuwendung der Düsseldorfer Bank ist es nun möglich, das zu realisieren. Daneben gibt es noch weitere Projekte. Konkretes hierzu entscheidet sich allerdings kurzfristig.

    Wie sehen Sie die Zukunft des Osthaus Museums?

    Wenn die allgemein schwierige Situation mit Krieg, Corona etc. überwunden ist, hat unser Institut große Chancen, weiter im internationalen Geschäft mitzumischen. Aber es wird für meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger immer eine Herausforderung sein, die Stadt ernst zu nehmen, sich um die Finanzierung zu kümmern und ein Publikum – teilweise auch ein neues – anzulocken. Daher ist es eine ganz wichtige Voraussetzung, ein Netzwerk mitzubringen. Außerdem sollte der- oder diejenige auch über einige Erfahrung verfügen.

    Werden Sie dem Museum auch nach Ihrer Pensionierung verbunden bleiben?

    Selbstverständlich. Ich habe ja den Verein „Freunde des Osthaus Museums“ gegründet, das Projekt werde ich gerne weiter unterstützen. Mein Know-how wird nicht verschwinden, das werde ich immer gerne einbringen. Es gibt ja auch viele Künstler, die mit dem Museum verbunden sind. Es gibt sicherlich hier und da Möglichkeiten, auch frei zu arbeiten und mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen das ein- oder andere zu realisieren, sei es eine Ausstellung, ein Text, Buch oder was auch immer. Der Kunstmarkt verschwindet für mich nicht.

    Was verbinden Sie mit Hagen? Was bedeutet Hagen für Sie?

    Ich halte Hagen für eine lebenswerte Stadt, auch wenn das nicht von allen Hagenerinnen und Hagenern so gesehen wird. Wir sind hier am Tor zum Sauerland. Innerhalb von zehn Minuten ist man immer im Grünen, was eine hohe Lebensqualität bedeutet. Selbstverständlich ist es so, dass Hagen, wie andere Ruhrgebietsstädte auch, zum größten Teil im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, sodass es kein historisches Zentrum gibt. Aber das kenne ich aus Dortmund oder z. T. auch aus Wuppertal, sodass es für mich kein Problem ist. Also ich mag Hagen, ich habe hier immer gerne gelebt.

    Was war Ihr größter Erfolg in Hagen?

    Das war die Hundertwasser-Ausstellung 2015 mit 70.000 Besuchern. Das hatte ein gigantisches Ausmaß. Wir mussten sogar montags aufmachen, um den Besucheransturm stemmen zu können. Es kamen Besucher aus ganz Deutschland und auch aus Österreich.

    Was wünschen Sie sich für Hagen?

    Eine glückliche Zukunft.

    Vielen Dank für das Gespräch!